Inspiriert durch einen Bericht in der DAV-Zeitschrift Panorama wollte ich nach meiner letztjährigen Wanderung des West Highland Ways in Schottland eine Wanderung in den Alpen unternehmen. Als Tour hatte ich mir eine Alpenüberquerung von Salzburg nach Triest herausgesucht, welche noch nicht so überlaufen sein sollte, wie die bekannteren E5 oder E6-Wanderungen. Natürlich wollte ich den Weg, der aus 28 Etappen bestand nicht in einem Stück laufen. Für’s Erste sollte es nur die Hälfte sein. Das hätte mich von Salzburg bis Greifenburg nahe der slowenischen Grenze geführt.
Ich versuchte, leicht zu reisen. Meine Kleidung bestand aus zwei Garnituren leichter Wandersachen, Handschuhen, einem Buff-Tuch, einem Sonnenhut und einer Regenjacke. Als Backup hatte ich einen Einmal-Poncho dabei. Mein Plan war, ab und an meine Klamotten zu waschen. Neben Hygieneartikeln, ein paar Medikamenten und einem Hüttenschlafsack hatte ich noch eine Powerbank, eine Kamera (die ich gar nicht gebraucht habe) und ein Buch dabei. Als Schuhe für abends packte ich mir Flip-Flops ein um Gewicht zu sparen. Diverse Kleinigkeiten wie Kopfhörer, Kompass und ein Messer komplettierten die Ausrüstung. Zum Trinken hatte ich eine 1-Liter-Flasche dabei. Nach meiner Erfahrung in Schottland sollte das reichen. Wie falsch ich doch damit lag…
Besonders vorbereitet hatte ich mich nicht. Meine Ausdauer trainierte ich mit Joggen, der Rest sollte unterwegs kommen. Ich hatte erwartet, dass ich nach den ersten Etapen Muskelkater oder leichte Probleme mit den Gelenken haben würde, welche sich aber mit der Dauer des Wegs geben sollten. So zumindest meine Erfahrungen vom letzten Jahr.
14.07. – Salzburg
Zuerst ging es mit dem Zug von Mainz nach Salzburg. Da ich dort schon um 12:30 Uhr ankam, blieb mir noch etwas Zeit, die Stadt anzuschauen. Ich wandelte durch den Kurgarten und die Gärten des Schlosses Mirabell, die wunderschöne Altstadt (die mittlerweile eine Fußgängerzone ist in der sich Geschäft an Geschäft drängt) und besichtigte Wolfgang Amadeus Mozarts Haus… in dem sich ein Spar-Markt befindet. Die historische Festungsanlage Hohensalzburg habe ich mir jedoch nicht mehr ansehen wollen, die Schlange an Besuchern (zum weitaus größten Teil Japaner) war einfach viel zu lang. In Anbetracht des morgigen Aufbruchs und des frühen Aufstehens heute ging ich auch abends nicht mehr weg und war statt dessen früh im Bett.
15.07. – Salzburg – Zeppezauer Haus
Länge: 14 km
Höhenmeter: ↑1200 m ↓fast nix
„Früh morgens“, um 9 Uhr brach ich von meinem Hotel in Salzburg auf zur ersten Etappe der Wanderung. Das Wetter war gut, würde aber im Laufe des Tages sogar noch besser werden. Nach einem holprigen Start bei dem ich in Salzburg den richtigen Weg nicht direkt fand, lief ich bald auf dem Mönchsberg und auf die Feste Hohensalzburg zu um von dort ins Nonntal abzusteigen. Entlang eines künstlichen Wasserlaufs, dem Almkanal, lief ich immer auf mein Ziel zu, den Untersberg.
Dort angekommen, hatte ich die Wahl zwischen zwei Aufstiegen: dem Reitsteig und dem etwas schwereren Doppler-Steig. „Nicht überfordern“, dachte ich mir noch und wählte den vermeintlich leichteren Reitsteig. Was folgte war ein mehrstündiger Aufstieg zur Zeppezauer-Haus auf steilen, teils rutschigen Holzleitern. Dieser zog sich sehr in die Länge, erschwerend kam hinzu, dass meine Wasservorräte rapide dahinschwanden. Auf dem Dopplersteig hätte es eine Quelle gegeben … Ich sollte mir eine weitere Flasche zulegen.
Auf halber Höhe traf ich dann auf Horst. Horst war 80 Jahre alt und stieg zusammen mit seinem Sohn Thomas zum Gipfel. Wenn er das schaffte, dann müsste ich das ja auch hinbekommen. Zu dritt ging’s also weiter hinauf. Nach einem zum Glück glimpflich ausgegangenen Unfall, bei dem Horst von einem sich vorbeidrängenden Hund von einer Holzleiter gestoßen wurde und sich abfangen konnte (Respekt!), erreichten wir die Schutzhütte. Darauf erst mal ein Bier! Horst und Thomas fuhren danach mit der Seilbahn wieder hinab ins Tal.
Am ersten Abend auf der Hütte lernte ich direkt ein paar Frauen aus Bayern kennen, die auch alle den gleichen Weg wie ich liefen. Zusammen mit ein paar Nachzüglern gab’s zünftiges Abendbrot und ein paar Bier, ehe es um 22 Uhr, pünktlich zur Hüttenruhe, ins Bett ging.
16.07. – Zeppezauer Haus – Berchtesgaden
Länge: 16 km
Höhenmeter: ↑400 m ↓1470 m
Am zweiten Tag meiner Wanderung ging es vom Zeppezauer Haus über das Untersberg-Massiv nach Berchtesgaden. Der Himmel war noch bedeckt und es war zu Beginn auch noch recht kühl. Zuerst galt es, die beiden höchsten Gipfel des Massivs, den Salzburger Hochthron (1853 m) und den Berchtesgadener Hochthron (1972 m) zu überschreiten. Auf dem Berchtesgadener Hochthron öffnete sich die Wolkendecke und gab einen tollen Blick auf das Umland frei.
Auf diesem Teil der Etappe lief ich zusammen mit Heike und Andrea, zwei der Frauen aus dem Zeppezauer Haus. Unser nächstes Ziel war das Stöhrhaus, wo wir erstmal einkehrten und Buttermilch mit Brezeln aßen. Schon ewig hatte ich das nicht mehr gehabt – Sehr lecker! Von dort machten wir uns auf den langen Abstieg nach Berchtesgaden. Unterwegs lief sogar eine Herde Steinböcke – alles Geisse und Jungtiere – über unseren Weg. Leider war kein ausgewachsener Bock zu sehen. Die sind die meiste Zeit des Jahres über Einzelgänger. Steinböcke waren Anfang des 20. Jahrhunderts weitgehend ausgerottet, doch ein häufiger Gast im Berchtesgadener Land, „Reichsjägermeister“ Hermann Göring, ließ in den 30er Jahren wieder Tiere dort ansiedeln – wahrscheinlich, um sie selber jagen zu können.
Der Abstieg vom Untersberg führte uns an tollen Felswänden entlang, die sofort das Klettererherz in mir höher schlagen ließen. Ich müsste dringend mal in die Gegend um hier am Kalk zu klettern… Die ganze Zeit gingen wir in der sengenden Sonne. Nach einer Weile waren wir zum Glück wieder von Wald umgeben und gelangten ins Tal. Nach dem wir aus dem Wald herauskamen, ging es durch kleine Dörfer auf die Stadt zu, im letzten Stück sogar durch eine schöne Klamm. Hoch über Berchtesgaden war der Obersalzberg und Hitlers Adlerhorst, das Kehlsteinhaus, zu sehen. Leider fehlte mir die Zeit, um noch dorthin oder in das Dokumentationszentrum Obersalzberg zu gehen.
Nach meiner Ankunft im Hotel suchte ich direkt den nächsten Outdoor-Laden auf und besorgte mir eine weitere Trinkflasche. Eine Wasserknappheit wie am ersten Tag sollte mir nicht nochmal passieren. Danach ging’s zum Abendessen und auf ein Bierchen in die Stadt. In Berchtesgaden fand an diesem Abend ein Volksmusik-Festival statt. An allen Ecken gab es kleine Gruppen von Musikanten, die sich mit musikalischen Einlagen abwechselten – leider auch direkt vor meinem Esstisch – und wiedermal musste ich feststellen, dass Volksmusik nichts für mich ist. Andrea und Heike liefen mir abends nochmal über den Weg, wir verabredeten uns dann für den morgigen Abend auf dem Carl-von-Stahl-Haus.
17.07. – Berchtesgaden – Stahlhaus
Länge: 16 km
Höhenmeter: ↑1300 m ↓140 m
Heute ging es von Berchtesgaden zum Königssee und von dort hinauf auf das sogenannte Stahlhaus – das Carl-von-Stahl-Haus. Doch mein erster Stopp war – mal wieder – ein Sportgeschäft. Ein Gürtel musste her, mein Rucksack drückte mir meine Hose ganz schön tief herunter – der Nachteil von leicht und stretchy. Auf dem Weg dorthin erspähte ich auf der anderen Strassenseite auch wieder die vier Frauen aus dem Zeppezauer Haus. Andrea, Heike und ich hatten ja gestern schon gesagt, dass wir uns heute Abend wieder sehen würden. Es war ja schließlich die (fast) einzige Unterkunft am Ziel.
Auf dem Weg zum Königssee traf ich eine weitere Wandererin, Wilma, die ebenfalls den Weg von Salzburg nach Triest ging. Am Malerwinkel, dem Ort von dem die meisten Bilder des Königssees entstanden (und bestimmt auch heute noch entstehen), trennten sich unsere Wege wieder bis zum Abend. Dort begann ein langer Aufstieg über eine Forststrasse. Relativ unspektakulär ging es von dort zum Carl-von-Stahl-Haus. Aber knapp zwei Stunden von der Hütte entfernt, begann es heftig zu regnen … und hörte nicht mehr auf.
Am Stahlhaus angekommen, gönnte ich mir zuerst einmal eine heiße, wenn auch kurze, Dusche. Eine Wohltat nach dem Regen! Weiter ging’s mit einem Teller Kaiserschmarrn und zum Abendessen ein leckeres Hirschgulasch mit einem Bier (oder auch zwei). Ja, Essen und Trinken kamen auf der Wanderung nicht zu kurz. Neben Wilma traf ich dort auch Jens. Die beiden würde ich auf meinen folgenden Etappen noch öfter sehen, obwohl Jens nicht wie Wilma und ich den Salzburg-Triest-Weg ging. Bis zum Abend hatte sich das Stahlhaus mit einer ganzen Reihe Gästen gefüllt. Allerdings war das dank der großen Anzahl an Betten, die sich in dem Haus befanden, kein Problem. Im Lager war es – verglichen mit den beiden folgenden Nächten – noch sehr leer.
18.07. – Stahlhaus – Wasseralm
Länge: 13 km
Höhenmeter: ↑1040 m ↓1350 m
Vom Stahlhaus ging es auf der heutigen Etappe durch das Hagengebirge zur Wasseralm in der Röth. Zuerst ging es aber hinauf auf den Schneibstein, den Hausberg der Carl-von-Stahl-Hütte, immer entlang der deutsch-österreichischen Grenze. Zum ersten Mal auf der Tour ging es über die 2000 Meter über Meereshöhe hinaus. Nach einem einfachen Start ging der Weg schnell in eine Kletterpartie über. Zusammen mit dem kräftigen Wind erwies sich der Anstieg als doch recht anstrengend. Das Wetter war an diesem Morgen allgemein nicht besonders schön: Wolkenverhangen und neblig, war es auf dem Gipfel ziemlich kalt. Optimale Bedingungen, damit sich Eis und Schnee auch im Sommer noch in den Tälern und kleinen Schluchten halten kann, wie ich bald feststellen konnte, als ich an dem ersten Restschnee vorbei kam.
Danach verlief ich mich in einem Geröllfeld. Normalerweise ist der Weg gut mit einer weiß-rot-weißen Markierung gekennzeichnet. Es gab drei Schwierigkeitsstufen: gelb-weiß (leicht), weiß-rot-weiß (mittel) und weiß-blau-weiß (schwer). In der Regel waren die Wege mittelschwer, in den Tälern auch mal gelb-weiß und nur einmal kam ich an einem schweren Weg entlang. Nachdem ich aber für eine ganze Weile keine Markierung mehr an den Felsen gesehen hatte, entschloss ich mich, den Weg zurück zu gehen, bis ich wieder eine Markierung sah. Einige Stellen meines Irrwegs waren allerdings kleine, aber feine Kletterpassagen, weshalb ich meinen Abstecher nicht bereute.
Der nächste markante und ebenso idyllische Wegpunkt war der Seeleinsee. Der Gebirgssee ohne natürliche Zu- oder Abläufe lag in einer Senke zwischen dem Schneibstein und dem Hochgschirr-Sattel (Geschirr heißt Sattel, also Hochsattel-Sattel …) und speist sich also nur aus Schmelz- und Regenwasser. Das Wasser war eisig blau, die Füsse hineinhalten wollte ich also nicht.
Vom Hochgschirr aus begann ein längerer Abstieg, zuerst über grobes Geröll, dann über feineres Geröll und dann über einen rutschigen Matschpfad in einen wunderschönen, ruhigen Wald. An diesem soll die verfallene Landtal-Alm gelegen haben. Leider sah ich diese nicht. Der Weg führte mich nun wieder in Richtung des Obersees, dem südlichen Nachbarn des Königssees. Die ganze Zeit konnte ich das Rauschen eines Wasserfalls hören, den ich auch ab und an durch die Bäume in den See stürzen sehen konnte.
Die Wasseralm war eine kleine Hütte auf einer ruhigen Wiese. Als ich dort ankam, sah ich lauter Menschen, die an einem nahen Bach badeten. Daher vielleicht der Name. Neben der Hütte gab es ein neues Waschhaus mit erweitertem Matratzenlager – den Luxus gab es wenige Jahre zuvor noch nicht, sagte man mir. Jens warte dort schon mit einem BIer in der Hand. Zum Abendessen (Gemüseeintopf) und auf ein paar kühle Bierchen setzen wir uns in Sonne. Später kam auch noch Wilma und viele andere der Gäste aus dem Stahlhaus von gestern. Dementsprechend war auch das Matratzenlager belegt bis auf den letzten Platz. Wir lagen zum Schlafen wie die Sardinen in der Sardinenbüchse.
19.07. – Wasseralm – Ingolstädter Haus
Länge: 14 km
Höhenmeter: ↑1250 m ↓550 m
Von der Wasseralm ging es am Morgen in Richtung Ingolstädter Haus im Steinernen Meer. Beim Frühstück hatte Jens erzählt, dass auf dem Weg ein kleiner Gipfel namens Halsköpfl liege, dem einzigen Ort weit und breit, auf dem man Handyempfang hätte. Da ich schon zwei Tage keinen Empfang mehr gehabt und mich nicht mehr zuhause gemeldet hatte, nutzte ich die Gelegenheit. Zusammen mit Jens genoß ich dort noch die wunderbare Aussicht auf den Königssee, ein letztes Mal, bevor der Weg uns nach Westen, wieder nach Österreich führen sollte.
Auf dem Weg zur ersten Station, dem Kärlinger Haus, kam ich an zwei kleinen Seen vorbei: dem Schwarzen– und dem Grünsee. Beim Abstieg in das Tal, in dem sich der erste See befand, spürte ich konstant einen stechenden Schmerz in meinem rechten Knie. Dies „zwang“ mich beim Schwarzensee eine kleine Pause einzulegen. Ein malerischer Spot: blauer Himmel, Wald, Wiese, Wasser und Berge. Nach einer Schmerztablette und etwas Salbe (und natürlich Sonnencreme – Ich will ja nicht braun werden) ging’s weiter – der Schmerz war weg.
Nach einem – gefühlt ewig – langen Weg zum Kärlinger Haus gönnte ich mir erst mal ein leckeres Mittagessen: Eine Leberknödelsuppe und ein großes Glas Skiwasser. Dort traf ich auch ein letztes Mal Jens, denn er würde an dem Tag nicht weiter zum Ingolstädter Haus gehen, sondern statt dessen den nahegelegenen Viehkogel erklimmen. Das Haus lag am dritten See auf dem Weg, dem Funtensee. Hier wurde vor einigen Jahren Deutschlands Kälterekord aufgestellt (mit -45° Celsius). Heute jedoch war es hier richtig heiß.
Ich machte mich auf meinen letzten Wegesabschnitt für heute. Nachdem ich den Hirschentörl, den nächsten Anstieg nach dem Kärlinger Haus hinter mir hatte, hatte ich einen großartigen Ausblick auf das, was mich in den nächsten Tagen erwarten würde, das Steinerne Meer. Wo bei einem Meer „Wasser so weit das Auge reicht“ gesagt wird, ist es hier „Stein so weit das Auge reicht“. Seinen Namen verdankt die Karsthochfläche zudem seinen Gipfeln, die wie Wellenkämme aussehen. Und inmitten dieser Landschaft liegt, schon von Beginn an sichtbar, das Ingolstädter Haus. Auf dem Weg dorthin wurde die Landschaft immer bizarrer. Wo anfangs noch Erde, Gras, einzelne Latschen und Blumen sichtbar waren, gab es später nur noch das Weiß-Grau der Felsen.
Am Ingolstädter Haus angekommen traf ich Wilma wieder. Zusammen mit ein paar Studenten aus Regensburg genoßen wir dort ein leckeres Abendessen (Tiroler Gröstl – Bratkartoffeln, Speck, Spiegelei) und beobachteten von der Terrasse aus den Sonnenuntergang. Ein schöner Ausklang für den Tag.
20.07. – Ingolstädter Haus – Maria Alm
Länge: 15 km
Höhenmeter: ↑350 m ↓1670 m
Nach einer eher unruhigen Nacht im vollgestopften Matratzenlager des Ingolstädter Hauses machte ich mich früh auf den Weg nach Maria Alm. Nach dem ich gestern schon Schmerzen bei dem kurzen Abstieg zum Kärlinger Haus hatte, hatte ich ein wenig Angst vor dem langen Abstieg vom Riemann-Haus nach Maria Alm.
Der erste Abschnitt des Weges vom Ingolstädter zum Riemann-Haus war allerdings ein toller Anfang. Die steinige, felsige Landschaft des Steinernen Meeres ist einfach unbeschreiblich. Zwischendurch ging es sogar über einige Schneefelder. Da ich heute ohne Stöcke lief, war das teilweise eine rutschige Angelegenheit und bei einem dieser Felder hätte ich nicht ausrutschen wollen – es ging ein ganzes Stück bergab. Das Riemann-Haus liegt imposant direkt neben dem Sommerstein und ist damit vom Tal aus sehr leicht auszumachen.
Am Riemann-Haus angekommen, gönnte ich mir erst mal ein Skiwasser … Ja, der Trend ist auf mich übergesprungen. Der Anfang des Abstiegs war noch in Ordnung: Es ging über drahtseilversicherte Stufen am ausgesetzten Teil des Abhangs hinunter ins Tal. Später wechselte der Weg allerdings wieder zu kurzen, felsigen Serpentinen. Genau die Art von Abstieg, die ich befürchtet hatte: Das Abbremsen machte sich trotz Trekking-Stöcken schnell wieder im rechten Knie bemerkbar. Die erste Schmerztablette. Nach einer Weile wechselte der Untergrund erneut – ich befand mich auf einem für Autos befahrbaren Weg mit viel losem, kleinen Geröll, dafür recht steil. Allerdings standen mir immer noch zwei Drittel des Abstiegs bevor. Der Schmerz war mittlerweile so stark, dass ich nur noch ein paar Meter weit ging, stehenblieb, mir die Kniekehle rieb, weiterging. Nächste Schmerztablette. Dazu schien die Sonne unerbittlich herab und kein Schatten in Sicht.
Gefühlt eine lange Zeit und nur wenige Höhenmeter später war ich der Verzweiflung nahe. Die Tabletten halfen nicht und ich näherte mich dem Tal im Schneckentempo. Zum Glück überholte mich ein anderer Wanderer und fragte, ob alles OK sei. Er sagte mir, dass ein paar Meter weiter ein Parkplatz sein müsste, wo sein Auto stand und er könnte mich mit ins Tal nehmen. Der Weg hinunter erwies sich sogar als noch länger als angenommen – ich war sehr dankbar, dass er mich in Maria Alm bei meiner Pension absetzte.
Ich entschloss mich, am nächsten Tag eine Pause einzulegen und mein Knie zu schonen. Zuerst musste ich aber ins nahegelegene Saalfelden fahren um mir eine Salbe zu besorgen. Die kurze Strecke, die ich dabei noch lief, tat schon weh.
21.07. – Pause
Nach einem ausgiebigen Frühstück zog ich erneut los in die Stadt. Mein Plan war, mir neue Einlagen für den Schuh, kinesiologisches Tape (Ja, auch dieser Trend ist angekommen … Danke, Mama) und Ibuprofen zu holen. Morgen würde ich noch mal versuchen, weiter zu laufen. Die nächste Etappe sollte mich auf den Hundstein und das Statzinger Haus führen. Also eine reine Bergauf-Etappe. Allerdings sollte danach auch wieder eine reine Bergab-Etappe folgen. Davor hatte ich nach dem gestrigen Tag Angst. Einen weiteren schmerzhaften Abstieg wollte ich nicht mehr durchmachen.
Den Rest des Tages verbrachte ich also damit, die Beine hochzulegen, mir Youtube-Videos zum Tapen meines Knies anzuschauen und zu relaxen. Es regnete eh und die Wettervorhersage für die kommenden Tage sah auch nicht besser aus.
22.07. – Maria Alm – Mainz
Heute wachte ich mit einem guten Gefühl im Bein auf. Der Schmerz war scheinbar weg – OK, ich war ja auch noch nicht gelaufen. Wie gestern regnete es, aber ich wollte es nochmal versuchen. Ich wollte bis zur Bushaltestelle in Maria Alm laufen und dann entscheiden, ob ich weiter gehe oder zum Bahnhof in Saalfelden, und damit heim, fahre. Leider merkte ich schon nach wenigen Metern, dass der Schmerz wieder zunahm. Ich befürchtete, einen weiteren schmerzhaften Abstieg vor mir zu haben, wenn ich weiterging. Und weitere Tage in dem Ort zu verbringen und darauf zu warten, dass mein Bein besser werden würde, sah ich als Verschwendung meiner Urlaubstage an. Also entschied ich mich, die Tour abzubrechen. Die Entscheidung hinterließ kein gutes Gefühl, ein unwürdiger Abschluss für die Tour, die so schön begonnen hatte.
Abschließend …
Auch zuhause hatte ich noch ein paar Tage Schmerzen beim Gehen, wahrscheinlich eine Überreizung/Entzündung der Sehnen im Knie. Für meine erste Mehrtagestour in den Alpen hatte ich mir definitiv zu viel vorgenommen, beziehungsweise ich hatte mich zu wenig vorbereitet. Nichtsdestotrotz hatte ich auf meinen sechs Tagen eine wunderbare Zeit. Die Landschaften sind unbeschreiblich und das Gefühl, einen langen Aufstieg gemeistert zu haben, ist die Qual wert. Das Hüttenleben war für mich auch eine neue Erfahrung. Als jemand, der sein eigenes Bett und Privatsspäre über alles schätzt, erforderte das teils beengte Miteinander der Hütten zuerst eine gewisse Überwindung, aber nach den Strapazen des Tages schlief auch ich dort (verhältnismäßig) gut.
Ich möchte den Weg auf jeden Fall nächstes Jahr fortsetzen. Diesmal mit mehr Vorbereitung und vielleicht nehme ich mir etwas weniger vor … Die Berge laufen ja nicht weg.
Cooler Bericht. Hoffe du machst deine Ankündigung wahr und schreibst auch in Zukunft von deinen „Abenteuern“, garniert mit Facts und schönen Fotos. I stay xited…
Grüße,
Tony
Wenn ich was zum drüber Schreiben finde 🙂
Ich freue mich riesig hier über dich und deinen weiteren Wegverlauf zu lesen!
Ab dem Ingolstädter Haus haben wir uns leider aus den Augen verloren und ich hatte
mich gefragt warum. Die Abende mit dir und Jens habe ich in total schöner Erinnerung: es war so super lustig mich euch und so viel habe ich selten gelacht!
Beim Abstieg nach Maria Alm hatte ich die ganze Zeit an dich und dein Knieproblem denken müssen und ahnte, dass es sehr schwierig für dich werden würde. Ich hoffte, dich im Statzerhaus wieder zu treffen, jetzt weiß ich warum nicht.
Bin selber leider auch nur bis Tarvisio gekommen und musste dort abbrechen. Ich hatte massive Probleme mit beiden Archillesversen und auch Iboprofen half nicht weiter.
Für deine nächste Bergtour wünsche ich dir alles Gute! Ganz liebe Grüße Wilma
Hallo Wilma!
Das freut mich, dass du hier auf meinen Bericht gestossen bist! Ich habe mir schon gedacht, dass du dich sicher gefragt hast, wo ich denn abgeblieben sei… Konnte dir ja auch nicht Bescheid geben. Die Abende auf den Hütten mit euch sind mir auch in sehr guter Erinnerung geblieben (und werden sie auch :-D)
Schade zu hören, dass du auch schmerzensbedingt abbrechen musstest. Aber in Tarvisio bist du ja schon weit über der Hälfte gewesen! Damit bleibt dir der leichtere Part für nächstes Jahr 🙂
Liebe Grüße!
Michael